Aufnahme der Spuren zu dem einzig möglichen Hebel
Von Steffen Pichler
Die Wirkungen der im Sommer 2018 entstandenen Schülerbewegung „Fridays for Future” und die enorme Dynamik ihrer Entfaltung bis zum Ende des Folgejahres waren im Vergleich mit den Historien früherer Umweltinitiativen beispiellos. In dieser kurzen Zeit sorgte sie dafür, dass ihr Hauptthema, der Klimawandel, in der medialen Öffentlichkeit, in den politischen Agenden mächtiger Industriestaaten und bis in die der Organisation der Vereinten Nationen so weit nach oben rückte wie nie zuvor.
Zu den in Deutschland beobachteten Effekten und Nachwirkungen werden unter anderem signifikante Einflüsse auf das Ergebnis von Bundestagswahlen gezählt [1] sowie thematische Veränderungen in den Bundestagsdebatten mit Auswirkungen auf konkrete Entscheidungen, wie jene zum Vorziehen eines Kohleausstiegs [2]. Auf internationaler Ebene lassen sich rückblickend ganze Kaskaden aus direkten und indirekten Folgen erkennen: So riefen ab Mitte 2019 in Europa, den USA und Australien viele Stadtparlamente als Reaktion auf die Schülerproteste jeweils einen lokalen „Klimanotstand“ aus [3], was das EU-Parlament zum gleichen Schritt bewegte. Die EU-Kommission lud mehrmals Vertreter der Bewegung zu Besprechungen ein, schlug als Ergebnis eine Verschärfung des europäischen Klimazieles vor und richtete massive Appelle an China, dem größten Verursacher von Treibhausgasen. Als dann in 2020 dessen Präsident Xi – für die meisten Kommentatoren völlig überraschend – erstmals die Aufnahme eines Zieldatums für eine „Klimaneutralität“ seines Landes in den nationalen Wirtschaftsplan bekanntgab, wurde dies von Experten hauptsächlich auf die kurz zuvor erfolgte deutliche Verstärkung der Signale und Appelle aus der EU zurückgeführt [4]. Es ist wahrscheinlich, dass es im gesamten Kausalnetz durch die veränderte internationale Wahrnehmung der fokussierten Thematik viele weitere indirekte Nachwirkungen gab und noch immer gibt.
Gut beobachtbar waren die Wirkungen in den meistgenutzten Medien der westlichen Industriestaaten. Ab Ende 2018 berichteten diese auffällig häufiger und eingehender über langlebige Treibhausgase, klimatische Statistiken und mögliche Kipppunkte. Analysen der Anfragen in Suchmaschinen des Internets ergaben von 2018 bis 2019 eine Verzehnfachung der Suche nach „Klimawandel“ [2]. Hinter den Aktivitäten der jungen Leute formierte sich eine hohe Zahl akademischer Naturwissenschaftler aus zahlreichen Ländern, um ihr Anliegen fachlich zu unterstützen oder ihnen anderweitig den Rücken zu stärken. Für die Initiative namens „Scientists for Future” unterschrieben innerhalb weniger Monate 26.800 Wissenschaftler, darunter viele in leitenden Positionen und Nobelpreisträger [5].
Schließlich luden sogar eine Reihe jener Großkonzerne, die seit langem als „Klimasünder“ angeprangert worden waren, Vertreter der Bewegung – mit Vortragsrecht – auf ihre Hauptversammlungen ein, darunter zum Beispiel RWE und VW. Das Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung führte derweil eine umfassende empirische Untersuchung zur lokalen Wirkung der Schülerinitiative durch und erkannte dabei „sehr robuste Effekte“. Diese hätten sich vom Alltagsverhalten der Erwachsenen bis zu deren Wahlentscheidungen gezogen. Es habe eine „umgekehrte intergenerationelle Übertragung von Einstellungen und Werten von Kindern auf Erwachsene“ stattgefunden [6].
Mittlerweile gehen von „Fridays for Future“ keine neuen solcher hochgradigen Wirkungen und Dynamiken mehr aus. Ihr zunächst zentrales Charakteristikum als echte Schüler-Bewegung verlor schon in 2020 deutlich an Schärfe. Und spätestens ab 2021 drängelten sich politische und ideologische Kräfte ein, um die Popularität für andere Themen zu nutzen [7]. Anstatt den anfänglichen globalen Blick unter hauptsächlicher Beteiligung von jungen Schülern beibehalten zu haben, geben nun mitunter Erwachsene im Namen der Bewegung einseitige politische Stellungnahmen zu regionalen Kriegen ab und streiten sich untereinander.
Kürzlich übte die in Deutschland – dem Land mit der anfangs höchsten Beteiligung von Schülern – oft als Sprecherin auftretende Luisa Neubauer heftige Kritik an der einstigen Gründerin der Initiative, Greta Thunberg: Diese habe nichts Konkretes zu den am 07. Oktober 2023 in Israel massakrierten Menschen gesagt und setze ihre Popularität einseitig nur zur Unterstützung der palästinensischen Seite ein [8]. Auch viele Stimmen außerhalb der Bewegung zeigten sich verwundert. Dabei wurde erkennbar, dass Thunberg offenbar aufgrund der ungewöhnlichen Vorgeschichte eine nicht geringe Weisheit und Größe zugeschrieben worden war. Man hätte von ihr also wohl eher so etwas erwartet wie eine überparteiliche Forderung nach Schutz für alle Kinder und Zivilisten in der Krisenregion oder vielleicht auch eine scharfe Verurteilung der aufhetzenden Hardliner aller Seiten als die eigentlich Schuldigen – aber sicher keine solche Mitwirkung an der Polarisierung.
Das einstige Erfolgsmodell „Fridays for Future“ ist jedenfalls in seiner ursprünglichen Form beendet. Doch das ändert nichts an den außergewöhnlichen Vorgängen innerhalb der Anfangszeit. Diese müssen – vollkommen losgelöst von der anschließenden Zersetzung – gut reflektiert und analysiert werden. Denn es haben hier unzweifelhaft Mechanismen gegriffen, deren Potenziale weit über alles hinausgehen, was man von jedweden gesellschaftlichen Initiativen zum Schutz von Natur und Lebensgrundlagen kennt.
Die eskalierend destruktiven Wirkungen der menschlichen Zivilisation auf das irdische Ökosystem machen schon längst eine Notbremsung und Umkehr erforderlich. Während teilweise noch Optimismus mit dem Glauben an einen positiven „Fortschritt“ vorherrscht, vollzieht sich in der Realität eine gigantische Katastrophe, für die es vielfältige empirische Belege gibt. Zu ihren Parametern gehören unter anderem ökologische Zerstörungen mit der Folge eines Rückganges der Vielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt, der mittlerweile von zahlreichen renommierten Fachleuten übereinstimmend als sechstes Massenaussterben der Erdgeschichte beurteilt wird – nach dem vierten vor rund 201 Millionen Jahren und dem fünften mit dem Verschwinden der meisten Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren [9].
Anders als es für die vorherigen globalen Massenaussterben angenommen wird, ist die gegenwärtige Vernichtung nicht von Kometeneinschlägen oder Vulkanausbrüchen verursacht, sondern hauptsächlich von direkten und indirekten Auswirkungen der zivilisatorischen Landwirtschaft. Deren Methodik ist – wie sich in Teil 2 noch ausführlich zeigen wird – im gesamten Ökosystem einzigartig. Sie besteht im Kern darin, dass der Mensch mittels der „künstlichen Zuchtwahl“ so in die Evolution anderer Lebensformen eingreift, dass sich bei deren Nachkommenschaft nicht vorrangig ihnen selbst nützliche Merkmale ausprägen, sondern solche die vorrangig dem Menschen nützen. Wenn also zum Beispiel innerhalb einer Gräserart Exemplare auffielen, die besonders große Samenkörner trugen, dann sorgte der Mensch seit einigen Jahrtausenden dafür, dass diese sich häufiger vervielfältigen, damit er besonders große Körner ernten und folglich mehr Nahrung erlangen konnte. Ohne diesen Eingriff wären die großen Körner durch die natürliche Selektion wieder aus der Art verschwunden, weil sie dieser Nachteile brachten, wie etwa hoher Wasserbedarf oder Anfälligkeit gegen Winddruck und Parasiten. Der Mensch schaffte es aber, die somit eigentlich genetisch benachteiligten und gegenüber den Umwelteinflüssen relativ geschwächten Pflanzen mit einigem Aufwand trotzdem am Leben zu halten. Er bereitete ihnen fruchtbare Ackerböden mit aufgelockerter Erde, leitete Wasser aus umliegenden Bächen auf diese Felder, zupfte konkurrierende Pflanzen weg, und bekämpfte mittels Substanzen die angreifenden Parasiten.
Die Methodik der Landwirtschaft war zunächst sehr erfolgreich, sowohl was die stetige Erhöhung der Menge der mit ihr generierten Nahrung anging als auch hinsichtlich der dadurch ermöglichten Vermehrung des Menschen selbst. Aber es gab auch eine Kehrseite. So benötigten die gezüchteten Organismen durch die fortlaufenden Schwächungen zunehmende Unterstützung, also etwa noch mehr Wasser, bessere Böden und besonders zuletzt auch immer stärkere Abwehrmittel gegen konkurrierende Pflanzen und die angreifenden Parasiten. Weil der Mensch es gleichwohl weiter schaffte, gewissermaßen die Schraube immer weiter zu drehen und dafür auch zunehmend technologische und chemische Möglichkeiten erfand, kam es in der letzten Phase der Geschichte zu einer rasanten Ausweitung und Intensivierung der Methodik. Die Erzeugung von nie dagewesenen Nahrungsmengen führte zur explosionsartigen Vervielfältigung seiner selbst und parallel zu einer drastischen Schädigung des bisherigen ökologischen Gefüges auf Großteilen der Landfläche des Planeten.
Wie extrem hoch die Geschwindigkeit dieses Geschehens war, wird beim Übertrag der irdischen Lebensgeschichte in den Maßstab eines Tagens deutlich: Innerhalb von Zeiträumen, die dann nur noch einige Sekunden entsprächen, wurde die pflanzliche und tierische Biomasse des Planeten quasi auf den Kopf gestellt. Dabei verwandelte sich der größte Teil der fruchtbarsten Ebenen in den gemäßigten Zonen der Erde mit ihren einst zahlreichen Pflanzenarten in Agrarland [10]. Weite Teile davon bestehen aus Rechtecken, auf denen jeweils nur kurzzeitig vom Menschen gezüchtete, genetisch verarmte und ohne vielfältige Unterstützung lebensunfähige Sorten wachsen.
Der weitaus größte Teil der Agrarflächen, insgesamt rund 78 Prozent, wird heute zur Nährung von vom Menschen gezüchteten und ebenfalls genetisch verarmten und geschwächten „Nutztieren“ verwendet [11]. Deren Anteil an der Gesamtbiomasse der Landwirbeltiere des Planeten beträgt nach Schätzungen mittlerweile rund 66 Prozent, während jener der freilebenden Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien demnach nur noch im einstelligen Prozentbereich liegt [12]. Da der Mensch selbst sich besonders in Folge der jüngsten, unter anderem durch die Technisierung gelungenen Produktivitätssteigerungen der Landwirtschaft alleine innerhalb der letzten zwei Jahrhunderte von einer auf heute acht Milliarden Individuen vermehrt hat, beträgt sein Anteil an der Biomasse der irdischen Landwirbeltiere nun über 30 Prozent.
Dass die Agrarmethodik die eigentliche Ursache der sogenannten Bevölkerungsexplosion war, lässt sich auch über sachkundige Schätzungen dazu erkennen, wie viele Menschen es auf dem Planeten Erde höchstens geben könnte, wenn der Homo sapiens sich – wie er es vor der Neolithischen Revolution über hunderttausende Jahre getan hatte – weiterhin ohne Landwirtschaft, also ausschließlich vom Jagen und Sammeln frei evolvierender und frei lebender Organismen ernähren würde: Die Zahlen reichen nicht über einen zweistelligen Millionenbereich hinaus [13]. (Vorsorgliche Anmerkung: Es wird folgend nicht um die unmögliche Rückkehr der acht Milliarden Menschen zum Jagen und Sammeln gehen und sie sollen auch nicht verhungern. Es geht hier zunächst nur um die Aufnahme und Reflexion der realen Sachverhalte.)
Nun erkennt keineswegs jeder in den drastischen Vernichtungen des planetaren Ökosystems und der rasend schnellen Transformation der irdischen Biomasse hin zu gezüchteten Organismen eine Katastrophe. Nicht wenige denken, dass es sich wohl um eine Übergangsphase mit ein paar Schwierigkeiten handele, die aber bestimmt bald irgendwie überwunden werden. Manche sehen sogar einen Prozess, der die Menschheit zügig in eine großartige Zukunft führen wird. In ihrer Vorstellung gibt es neue gentechnische Verfahren, mittels derer die Landwirtschaft noch produktiver werden wird. Das Erbgut und die Merkmale der gezüchteten Organismen lassen sich damit ganz leicht neu kombinieren, ähnlich wie es Kinder mit den bunten Klötzchen bei einem Lego-Spiel tun. Jegliche Probleme wie höhere Wasserbedarfe oder Anfälligkeiten gegen Parasiten werden so gelöst. Man selbst wohnt derweil bequem in futuristischen Smarthomes, freut sich über neue Generationen von Tablets und besiedelt vielleicht bald auch ferne Himmelskörper.
Andererseits sind bei weitem nicht alle Menschen von solchen bizarren Naivitäten betroffen. Viele haben einen ziemlich realistischen Blick auf die aktuelle Situation. Sie begreifen zumindest ansatzweise die extrem kurzen zeitlichen Verläufe und die gewaltige Tragweite der ökologischen Zerstörung und sehen dadurch die sich mit enormer Beschleunigung zuspitzende Katastrophe. Allerdings scheint es in den gängigen politischen oder sonstigen gesellschaftlichen Konzepten trotzdem keinerlei solide Ansätze zu geben, die wenigstens theoretisch so weitreichend funktionieren könnten, wie es für eine wirkliche Notbremsung auf dem fatalen Weg der Zivilisation erforderlich wäre. Und genau dazu liefert die Geschichte rund um die Anfangszeit von „Fridays for Future“ deutliche Spuren. Diese führen bis hin zu einzigartigen und realistischen Chancen einer echten Notbremsung sowie dem Beginn eines geordneten Rückbaus der vom zivilisatorischen System ausgehenden Destruktionen innerhalb kurzer Zeit. Zur Aufnahme und Verfolgung der Spuren bedarf es etwas ausholendem „um die Ecke denken“, was nun folgend getan werden soll.
„Fridays for Future“ unterschied sich am Anfang vor allem in zwei wesentlichen Eigenschaften von anderen Protestbewegungen. Gerade auch im direkten Vergleich mit weiteren der innerhalb der letzten Jahre entstandenen sogenannten Klimabewegungen werden diese beiden Unterschiede gut erkennbar: Der mit großem Abstand wichtigste und auch auffälligste betraf das Lebensalter der Beteiligten. Während etwa in jenen namens „Letzte Generation” oder „Extinction Rebellion” zumeist Erwachsene aktiv waren und sind, handelte es sich bei „Fridays for Future“ im ersten Jahr tatsächlich überwiegend um minderjährige Schüler. Ein weiterer Unterschied lag in der Wahl der Mittel. Die genannten Bewegungen der Erwachsenen tendieren eher dazu, direkte Drücke aufzubauen und dabei auch zivilen Ungehorsam oder indirekte Gewalt anzuwenden – wie etwa mit dem Anhalten von Autos oder dem Beschmieren von Sachen. Sie gehen davon aus, dass sie so die Öffentlichkeit hinsichtlich der von ihnen angenommenen Dringlichkeit wachrütteln und – teils mit entsprechend erklärter Absicht – in den Köpfen der Menschen Veränderungen erzwingen können. Die Aktivitäten von „Fridays for Future“ trugen – in besagter Anfangszeit – ein zentrales Merkmal, welches praktisch genau umgekehrt funktionierte.
Es gab zwar große Versammlungen und Protestmärsche, bei denen aber offensichtlich völlig harmlose und teils sehr junge Schülerinnen und Schüler nichts anderes taten als ihre Ängste vor den von den Erwachsenen heraufbeschworenen Gefahren kundzutun – ohne dabei auch nur einen Mülleimer umzuwerfen. Der erste Protest der faktischen Gründerin der Bewegung im Jahr 2018 wirkt rückblickend wie ein Symbol für dieses Schema: Eine schmächtige 15jährige Jugendliche – die äußerlich wie ein um Jahre jüngeres Kind wirkte – setzt sich mit selbstgemaltem Schild, auf dem sie ihren Schulstreik verkündet, neben den Eingang des schwedischen Parlamentgebäudes und tut – nichts. Sie saß dort auch niemandem im Weg, erschwerte also nicht etwa den Zugang zum Gebäude. Schon einige der Äußerungen Thunbergs im Folgejahr passten dann nicht mehr so richtig zu diesem Bild. Und mittlerweile – nun als junge Erwachsene – tendiert sie zu physischen Blockaden und wird öfters von der Polizei weggetragen.
Im gesamten Kontext ist erkennbar, dass Thunberg damals ganz am Anfang nur zufällig, nämlich durch die Kombination ihres ungewöhnlich kindlichen Erscheinungsbildes mit den Möglichkeiten einer geistig schon überdurchschnittlich reifen Jugendlichen (ein wirkliches Kind wäre nichtmal auf die Idee einer solchen Aktion gekommen, eine ersichtlich Jugendliche wiederum hätte niemals eine so große Aufmerksamkeit erzeugt), extrem kraftvolle Mechanismen mit enormen Potenzialen der Dynamik anstieß, ohne diese selbst begriffen oder vorausgesehen zu haben. Auch dass sie in der Anfangszeit viele sehr junge Menschen – echte Kinder – mitzog und die entsprechenden Wirkungen sich dadurch multiplizierten, lag offenbar wesentlich an der zufälligen Kombination.
Die Versuche einer Erzwingung durch Erwachsene gegenüber anderen Erwachsenen im Rahmen von Protestbewegungen zu globalen Umweltthemen haben schon aufgrund automatisch entstehender Abwehrreflexe allenfalls geringes Potenzial – und können leicht Aggressionen auslösen und dann sogar thematisch gegenteilig wirken. Beim quasi „subtilen Einschleichen” in das tiefe Gewissen durch sehr junge und harmlose Menschen hingegen entstehen solche Abwehrreflexe nicht. Und wie jeder kognitiv und psychisch halbwegs gesunde Mensch weiß, vermögen die Mechanismen des „Gewissens“ mit sehr starken, kaum oder gar nicht überwindbaren Emotionen einhergehen.
Ihnen liegen uralte Prägungen zugrunde und sie sind teilweise eng mit den beim sogenannten Beschützerinstinkt wirkenden Emotionen verflochten. Deren Effekte lassen sich bei zahlreichen sozialen Tierarten gut beobachten und sie müssen vielfach unabhängig voneinander, also konvergent entstanden sein. Wenn eine Büffelherde – trotz der auch für ausgewachsene Bullen beträchtlichen Gefahren – ein Löwenrudel angreift, weil dieses es auf ein Jungtier der Herde abgesehen hatte, dann geschieht das auf der Grundlage solcher Emotionen. Und wer einmal versehentlich die Brutkammer eines Wespennestes beschädigt hat, wird sie wahrscheinlich sogar selbst schmerzhaft erfahren haben – die „Erwachsenen“ stürzen sich mit äußerster Aggressivität und praktisch vollkommen selbstlos auf den vermeintlichen Angreifer des Nachwuchses ihres Volkes.
Zu den evolutionären Entstehungsgründen dieser Mechanismen gehört, dass das durch Emotionen angetriebene Verhalten in Richtung des Schutzes und der Stabilisierung des eigenen Sozialgefüges stetig Selektionsvorteile erbracht hat – denn jenes Gefüge war über viele Jahrmillionen eine wichtige Grundlage sowohl der individuellen Existenz als auch des Fortbestandes der eigenen Erbinformationen. Dass sie sich ganz besonders kraftvoll entfalten können, wenn es um neu nachwachsende Generationen geht, liegt an deren vorrangiger Bedeutung für die nachhaltige Beständigkeit des Sozialgefüges als Fortpflanzungsgemeinschaft. In der Wahrnehmung der meisten heutigen Menschen ist dieses Gefüge nicht mehr auf die eigene Herde oder den eigenen Stamm begrenzt. Sondern unter anderem durch weithin gleiche oder ähnliche Wertesysteme und befördert durch mediale Vernetzungen erstreckt es sich insofern über große Teile der Zivilisation.
Dabei gibt es zwar graduelle Unterschiede, etwa durch religiöse Beeinflussungen oder Trennlinien zwischen Volksgruppen und das wahrgenommene Gefüge kann auch zerreißen, wenn es zwischen diesen zu Konflikten kommt. Andererseits aber sind die Mechanismen so tief und fest in die Kognition eingeprägt, dass ihre Wirkungen sich bis weit über den ursprünglichen Zweck ausdehnen können. In den europäisch geprägten Kulturen, aber auch den meisten anderen Regionen sind die entsprechenden Wahrnehmungen unter den aktuellen Menschen jedenfalls ziemlich ähnlich formatiert. Folglich wird in der Perspektive eines Großteils der erwachsenen Individuen – einschließlich und wahrscheinlich in Teilen sogar insbesondere solcher mit Macht und Einfluss – ein entsprechend umfangreiches Sozialgefüge wahrgenommen. Und wenn in ihren Gehirnen die besagten uralten Emotionen entfacht werden, wie es in der Anfangszeit von „Fridays for Future“ geschah, dann hat dies bei vielen von ihnen entsprechend starke Auswirkungen auf die Entscheidungen und Handlungen. Das waren die Hintergründe des enormen Erfolges der Initiative.
Vor der Weiterverfolgung der Spuren muss vorausgeschickt werden, dass es nicht darum gehen wird, den besagten Hebel etwa in einer „neuen Greta“ oder einem neuen „Fridays for Future“ zu finden. Abgesehen von der rein zufälligen Kombination bei der Person der faktischen Gründerin blieben die Wirkungen der Bewegung dann doch viel zu klein und thematisch beschränkt, als dass daraus eine echte Notbremsung der Zivilisation mit der enormen Tragweite der dafür erforderlichen Veränderungen hätte hervorgehen können. Anders als manchmal dargestellt, war es – trotz mitunter millionenfacher Beteiligung an Protesten – auch nicht so, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen in dieser Initiative mitmachte. Und schließlich war sie fragil und instabil, was nicht nur mit der zügigen Unterwanderung durch anderweitige Interessen und den jüngsten Zersetzungen deutlich wurde.
Die Spuren führen also nicht etwa zu Möglichkeiten einer größeren Protestbewegung in ähnlicher Form. Sondern in ihrer Richtung werden am Horizont Chancen erkennbar, die damals in der Anfangszeit der Initiative sichtbar gewordenen Mechanismen systematisch in einer vielfach breiteren und stabilen Weise zu erschließen – und die so entstehenden enormen Kräfte direkt auf die benötigte Notbremsung zu lenken. Zuvor aber muss die gegenwärtige, eingangs kurz angerissene Problematik – also die katastrophale Situation – einer genaueren Analyse unterzogen werden, was im folgenden zweiten Teil geschehen wird.
Quellen:
[1] ARD Tagesschau. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/fridays-for-future-244.html
[2] Universität Bremen. Christina Selzer. https://up2date.uni-bremen.de/artikel/fridays-for-future-gekommen-um-zu-bleiben
[3] Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/sch%C3%BCler-in-deutschland-und-der-schweiz-fordern-den-klimanotstand/a-48542615
[4] Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/china-will-bis-zum-jahr-2060-klimaneutralit%C3%A4t-erreichen/a-55021451
[5] Scientists for Future. https://de.scientists4future.org/ueber-uns/stellungnahme
[6] ifo Institut. https://www.ifo.de/DocDL/sd-2022-05-andres-etal-fridays-for-furture.pdf
[7] Tagesspiegel. Christopher Stolz. https://www.tagesspiegel.de/internationales/kritik-an-fridays-for-future-wer-hinter-dem-umstrittenen-social-media-auftritt-steckt-10693741.html
[8] Zeit Magazin. https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2023-10/luisa-neubauer-greta-thunberg-israel-gazastreifen
[9] Spektrum.de. Massimo Sandal. https://www.spektrum.de/news/erdgeschichte-das-sechste-massenaussterben/1889650
[10] Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/globale_landflaechen_biomasse_bf_klein.pdf
[11] Statistisches Bundesamt. https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/landwirtschaft-fischerei/tierhaltung-fleischkonsum/_inhalt.html
[12] Ernst Ulrich von Weizsäcker, Andreas Wijkman u.a. “Club of Rome: Der große Bericht – Wir sind dran” / Teil.1 Kap. 1.4, Gütersloher Verlagshaus, 2017
[13] Spektrum.de. Jan Osterkamp. https://www.spektrum.de/frage/wieviele-menschen-lebten-auf-der-erde/1253576